Ausgetrocknete Flüsse und schwitzende Pandas: Eine Hitze- und Dürrewelle macht China seit Wochen zu schaffen. Darunter leidet auch die Wirtschaft.
München/Chengdu – In Deutschland ist in diesen Tagen viel von Solidarität die Rede. Bevor im Winter die Heizungen kalt bleiben und die Industrie nicht mehr produzieren kann, weil das Gas aus Russland fehlt, sollen die Bürgerinnen und Bürger schon jetzt mit dem Sparen beginnen. Kürzer duschen, die Heizgeräte warten, richtig lüften. Ob sich aber auch diejenigen daran halten werden, die es sich leisten können, bei offenem Fenster zu heizen, wird sich zeigen. In China ist man da schon weiter: In der Volksrepublik übt man sich angesichts einer nie dagewesenen Hitzewelle und dramatischer Energieengpässe in Solidarität, und das ganze Land macht mit. Das zumindest ist das Bild, das die Staatsmedien und die streng kontrollierten sozialen Medien seit Tagen vermitteln.
„Strom und Wasser zu sparen ist das, was wir jetzt tun müssen. Wir müssen uns einig sein, um die Schwierigkeiten zu überwinden“, schreibt ein Nutzer bei Weibo und erhält dabei Applaus von mehr als 40.000 Menschen. Auch ein Video macht derzeit die Runde in dem sozialen Netzwerk, darauf zu sehen: eine Frau namens Li, die ein Essenspaket mit einem langen Seil in den 25. Stock ihres Wohnhauses zieht. Kurz bevor sie die Bestellung aufgegeben hatte, so erzählt die Frau aus der Provinz Sichuan, sei der Strom abgestellt worden. Damit der Lieferjunge bei den derzeit rund 40 Grad Tagestemperatur nicht Hunderte Treppenstufen nehmen muss, kam Frau Li auf die Idee mit dem Seil.
Sichuan lieg im Westen Chinas, an der Grenze zu Tibet. Mehr als 80 Prozent ihres Stroms produziert die Provinz mit Wasserkraft, ein Teil davon wird normalerweise in andere Landesteile exportiert. Seit ein paar Wochen aber wird die Provinz von einer Dürre- und Hitzewelle heimgesucht, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gab. Einst mächtige Flüsse schrumpften zu Rinnsalen, eine Stromproduktion dort ist nur noch schwer möglich. Laut Analysen der Investmentbank Morgan Stanley ist die tägliche Stromerzeugung aus Wasserkraft um 51 Prozent gesunken. Gleichzeitig steigt der private Bedarf, da es viele Menschen aufgrund der hohen Temperaturen ohne Klimaanlage in ihren Wohnungen oder Büros kaum aushalten.
In den vergangenen Tagen musste deshalb immer wieder der Strom abgeschaltet werden – was nicht nur die Privathaushalte trifft, sondern auch die vielen Unternehmen, die in der Provinz ansässig sind. Dazu gehören auch Weltkonzerne wie der Apple-Auftragsfertiger Foxconn, Bosch oder Toyota. Insbesondere E-Autos und Fotovoltaikanlagen werden in Sichuan gefertigt, außerdem Rohstoffe wie Lithium und Polysilicium gefördert. Alle diese Branchen leiden unter Unterbrechungen der Lieferketten. Selbst im fernen Shanghai – rund 1.700 Kilometer von Sichuans Hauptstadt Chengdu entfernt – spürt man die Auswirkungen der Energiekrise im Westen des Landes. Am Bund, Shanghais weltberühmter Uferpromenade, blieben am Montag und Dienstag die Lichter aus. Denn die 24-Millionen-Metropole bezieht einen Teil ihres Stroms aus Wasserkraftwerken im Grenzgebiet zwischen Sichuan und Yunnan und vom Dreischluchtendamm am Jangtse, an dessen Ufern im Juli so wenig Regen wie seit 60 Jahren nicht mehr gemessen wurde.
Selbst den Pandas, die in großen Schutzgebieten nahe der Hauptstadt Chengdu leben, wird es zu heiß: Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua verbreitete Bilder, die zeigen, wie sich Riesenpanda Qing Qing an einem riesigen Eisblock abkühlte.
Aber nicht nur Sichuan leidet unter der extremen Hitze. In der zentralchinesischen Provinz Henan berichtete unlängst eine Frau, dass die lebenden Garnelen, die sie auf dem Markt gekauft und in einer mit Wasser gefüllten Plastiktüte nach Hause getragen hatte, auf dem Heimweg von der Hitze gekocht wurden. In Guangzhou, ganz im Süden des Landes, teilte ein Mann ein Foto seiner Schuhsohlen, die auf dem glühend heißen Asphalt geschmolzen waren.
Weite Teile des Landes erleben derzeit die schlimmste Hitzewelle seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1961, hinzu kommt außergewöhnliche Trockenheit. Insgesamt 14 chinesische Provinzen und Regionen sind derzeit laut offiziellen Angaben von „mittelschwerer bis schwerer“ Dürre betroffen. In der Ostküstenmetropole Nanjing sowie in der Stadt Nanchang in der zentralen Provinz Jiangxi fiel den ganzen August noch kein Regen.
Die Dürre hat bereits Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung. Nordöstlich von Nanchang liegt der Poyang-See, der größte Süßwassersee Chinas. Zuletzt aber schrumpfte der Poyang auf nur noch ein Viertel seiner normalen Größe. Inmitten des ausgetrockneten Gewässers tauchte gar eine eigentlich versunkene Insel samt historischem Leuchtturm wieder auf. Bewässerungskanäle, die Reisfelder in der Umgebung mit Wasser versorgen, blieben trocken – weswegen die Regierung neue Gräben ausheben ließ, um wenigstens einen Teil der Felder zu bewässern.
Das ist dringend nötig, denn China verfügt über sieben Prozent der weltweit nutzbaren landwirtschaftlichen Flächen, muss damit aber 22 Prozent der Weltbevölkerung versorgen. Es ist ein Dilemma, das sich noch verschärfen könnte, denn Prognosen zufolge dürfte das Land in Zukunft von immer heftigeren und längeren Hitze- und Dürreperioden heimgesucht werden.
Allerorts in China versucht man nun, den Energiebedarf zu reduzieren. In der Jangtse-Metropole Chongqing östlich von Chengdu öffneten mehrere Einkaufszentren erst am späten Nachmittag – und das auch nur für einige Stunden, um Energie zu sparen. Seit Juli wurden in der Stadt an mehr als 30 Tagen Temperaturen von über 35 Grad gemessen. Dutzende U-Bahn-Stationen wurden deshalb zu Schutzräumen umfunktioniert. Manche Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt flüchteten sich zur Abkühlung gar in Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, wie Xinhua berichtete. In der Gegend kam es zudem zu mehreren Waldbränden.
Weil viele Wasserkraftwerke im ganzen Land nicht mehr die volle Leistung erbringen, lässt die Regierung gezwungenermaßen mehr Kohle verfeuern. Aktuell ist China für rund 30 Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes verantwortlich – und damit auf den ersten Blick also ein Klimasünder, der nun die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels zu spüren bekommt. Tatsächlich aber liegen die Pro-Kopf-Emissionen in China nur etwa halb so hoch wie in den USA – und auf etwa demselben Niveau wie in Deutschland. Außerdem entstehen viele Emissionen bei der Produktion von Waren, die nicht in China konsumiert werden, sondern im Ausland. Zudem lagen die Emissionen in China über Jahrzehnte auf sehr niedrigem Niveau und stiegen erst ab etwa dem Jahr 2000 stark an.
Dennoch steht nun auch China vor der drängenden Frage, wie sich der Ausstoß an Treibhausgasen reduzieren lässt, ohne das Wirtschaftswachstum auszubremsen. Bis zum Jahr 2060, so kündigte Staats- und Parteichef Xi Jinping vor zwei Jahren an, will das Land eigentlich die CO₂-Neutralität erreicht haben. Auch wenn EU und USA bereits zehn Jahre früher so weit sein wollen: Es ist ein ehrgeiziges Ziel. In diesem Jahr dürfte die zusätzlich verfeuerte Kohle den CO₂-Ausstoß zwar nicht nach oben treiben, weil gleichzeitig weniger produziert wird – aufgrund der aktuellen Stromausfälle, aber auch wegen der vielen Corona-Lockdowns im ganzen Land. Aber erst ab 2030 sollen Chinas Emissionen tatsächlich sinken. Dabei zeigt sich schon jetzt fast überall im Land, dass die Zeit drängt. (sh)