Schauspielhaus: Ein Psychogramm der Familie Krupp - WELT

2022-09-03 10:23:27 By : Ms. Ginny Yan

D as Stück "Der Fall der Götter" nach dem Film "Die Verdammten" von Luchino Visconti zeichnet im Schauspielhaus ein Psychogramm der deutschen Familie Krupp.

Die Welten verschwimmen. Im Zuschauerraum des Deutschen Schauspielhauses klaffen Löcher. Die Theatersitze, die eigentlich dorthin gehören, finden sich auf der Bühne wieder, gleich in der Mitte, aufgetürmt zu einem wilden Haufen. In den im Saal entstandenen Lücken finden sich Bühnenelemente.

Osmotisch durchdringen sich die Sphären. Ein Gitterrost aus Stahl verbindet Bühne und Zuschauerraum, Fiktion und Realität, Gestern und Heute. Auf diesem Gitterrost spielen sieben Schauspieler das Ende einer deutschen Familien-Dynastie und das Ende aller Hoffnung auf Moral. Das Gitter ist hart wie Stahl, und die Figuren auf der Bühne tun so, als wären sie es auch.

"Der Fall der Götter" heißt das Stück, das am 22. September unter der Regie von Stephan Kimmig Premiere feiert. Vorlage ist der Film "Die Verdammten" von Luchino Visconti aus dem Jahr 1969. Viscontis Film war seinerzeit ein großer Erfolg – allerdings nicht in Deutschland.

Die Handlung des Films orientiert sich am Aufstieg und Fall einer Industriellen-Dynastie in Nazi-Deutschland. Hinter der fiktiven Bühnenfamilie der von Essenbecks schimmert die Dynastie der Krupps durch, die zeitweise eines der größten Unternehmen Europas führte und in den Weltkriegen die Herstellung von deutscher Wertarbeit am Waffenmarkt gewährleistete.

Das Stück folgt keiner gradlinigen Erzählweise, sondern wirft gleißende Schlaglichter auf Szenen, die jeweils in zweierlei Hinsicht Wendepunkte sind, zum einen in der Handlung, zum anderen in der Lebenseinstellung der Figuren. "Da ist eine unheimliche Energie in den Figuren", sagt die Schauspielerin Ute Hannig, die gemeinsam mit der Dramaturgin Stephanie Lubbe die komplexen Strukturen des Stückes erklärt. "Jeder hat das Gefühl, dass er jetzt zubeißen muss, oder aber vom Strudel des Geschehens ins Aus befördert wird."

In der Eröffnungsszene folgen in dramatischer Geschwindigkeit die Geburtstagsfeier des Patriarchen von Essenbeck und dessen Ermordung aufeinander. Der geistige Offenbarungseid, der damit einhergeht, ist die bewusste und letzte Entscheidung des Stahlmagnaten vor seinem gewaltsamen Tod, von jetzt an mit den Nationalsozialisten zu paktieren.

Zu dieser Entscheidung positionieren sich alle anderen Familienmitglieder und durchlaufen die Niederungen von Gier, Neid, Gewalt und Verbrechen. Das Ganze hat Ausmaße einer griechischen Tragödie, und der Tod lauert wie ein Racheengel auf all die, die vom Weg der Rechtschaffenheit abweichen. Findet sich hier die verloren geglaubte Moral?

Ute Hannig spielt gleich zwei Rollen, genau wie ihr Kollege Samuel Weiss, währen Markus John sogar drei Rollen übernimmt, das gibt die Bühnenfassung so vor. Deutlich gemacht werden die jeweiligen Wechsel der Figuren nicht so sehr durch äußerliche Attribute wie Kostüm und Accessoires.

Ute Hannig spielt zwei gegensätzliche Frauen, eine Opferrolle, "die ich am Anfang viel lieber gespielt habe, dazu hatte ich einen unmittelbaren Zugang" und eine der Lady Macbeth nachempfundene Intrigantin, die versucht, sich in der Familie zu behaupten und grauenvoll scheitert. Die Frauentypen spielt Hannig mit unterschiedlicher Gestik und Mimik.

Bei den vielen Rollen, die die Schauspieler unter sich aufteilen, könnte es schwerfallen, dem dynastischen Who is Who zu folgen. "Um sich zurechtzufinden, gibt es zwei Figuren, die durch die Handlung führen", sagt Stephanie Lubbe.

Wie zwei Conférenciers führen Julia Nachtmann und Katja Danowski erklärend, spielend, singend, tanzend und musizierend durch den Abend – ein lebhafter Totentanz für die Familie der von Essenbecks. Unterstützt werden sie von den Musikern Michael Verhoveck und Philipp Haagen, die klangliche Atemlosigkeit in den Abend bringen.

"Auch der Zuschauer wird bis zuletzt nicht aus seiner Rolle entlassen, er muss alle Bezüge herstellen und aufmerksam sein", sagt Lubbe. Wer die intellektuelle Herausforderung liebt, versucht, die vielen Querverweise des Stoffes zu finden, sei es zu Wagners "Götterdämmerung", zu Shakespeares "Macbeth" oder "Hamlet", zu Manns "Buddenbrooks" oder zu Stücken der griechischen Antike. Und selbstverständlich die zur deutschen Geschichte. "Natürlich ist das Stück eine Überspitzung. Dadurch ist es aber dennoch nicht ungültig.

Es geht um die Frage: Was motiviert das Handeln der Personen? Tatsächlich, wie behauptet, das Wohl des Unternehmens, das ja wie ein Staat im Staat funktionierte? Oder geht es doch ums eigene Ego, um die eigene Selbstverwirklichung?", fragt Lubbe, und Hannig ergänzt: "Die Familie hat einen hohen Anspruch an sich selbst in allen Belangen, außer der Moral. Die Elite eines Landes hat aber doch neben allen Vorteilen und Privilegien auch die Verantwortung für die Gesellschaft. Dieses Empfinden fehlt gänzlich."

Und das sei der Bezug zur Gegenwart, sagt Hannig. Das Prinzip der skrupellosen, amoralischen Ausbeutung sei heutzutage genauso zu finden wie vor siebzig Jahren.

"Der Fall der Götter": Premiere im Schauspielhaus am 22.September, 19.30 Uhr, Kartentelefon 248713

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